Aufwachen und anpacken: Wieso viele Wahlversprechen ohne echten Digitalturbo nutzlos sind

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Am Sonntag entscheidet sich der politische Kurs unseres Landes neu; die Merkel-Ära endet. Ich persönlich hoffe, dass nach der Wahl vor allem eines endet: die unerträgliche Fabuliermentalität deutscher Politiker:innen in puncto Digitalisierung. Wir müssen die digitale Zukunft endlich anpacken. Sonst – und das muss man so in aller Deutlichkeit sagen – werden wir international gesehen zum digitalen Schlusslicht.

Ich bin sicher nicht der Erste, dem aufgefallen ist, dass Digitalisierung im Wahlkampf eher wie ein übellauniges Stiefkind behandelt wurde. Ganz nach dem Motto: Was machen wir bloß mit dieser Nervensäge? Sie hat uns doch schon im vergangenen Jahr auf Trab gehalten und jetzt sollen wir sie auch noch bei unseren Wahlversprechen berücksichtigen? Im ersten „Triell“ kam sie schlicht überhaupt nicht zur Sprache und auch in den weiteren Ausgaben wurde Digitales nur oberflächlich und stets als reines Infrastrukturthema diskutiert: Netzausbau, Glasfaseranschlüsse. Das ist angesichts der eklatanten Mängel beim deutschen Digitalfortschritt, die uns in den vergangenen eineinhalb Jahren geradezu unvermittelt ins Gesicht sprangen, einfach nur sagenhaft unverschämt. Mehr noch: Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich tagtäglich mit zettelwirtschaftlichem Bürokratieirrsinn und brüchigen Stimmen in Videoanrufen rumschlagen, um unser Land irgendwie am Laufen zu halten.

Digital ist kein Trend mehr, sondern eine Notwendigkeit

Haben deutsche Politiker:innen etwa immer noch nicht verstanden, dass es hier nicht um ein Thema geht, mit dem man sich wahlweise schmücken kann, um trendy zu wirken? Digitalisierung ist der wichtigste Gesellschaftstreiber unserer Zeit und beeinflusst schon jetzt alle Lebensbereiche – vom Gesundheitswesen über Bildung und Mobilität bis zum Arbeitsalltag und vieles mehr. Sie weiterhin zu ignorieren und zu hoffen, dass das schon irgendwie läuft, setze ich mit politischer Arbeitsverweigerung gleich. Ohne umfassende Digitalstrategie wird es schier unmöglich, an anderen Wahlversprechen festzuhalten. Zukunftsfähige Bildungsangebote oder massentaugliche Elektroantriebe für den Straßenverkehr? Ja, aber nicht ohne Digitalschub. Ich fordere die künftige Bundesregierung, welcher farbenfrohen Zusammensetzung sich diese auch immer erfreuen mag, daher auf: Nehmen Sie das Ganze endlich ernst und lassen Sie Taten statt Worte sprechen!

Ewig Vorletzter? Das kann nicht unser Anspruch sein!

Denn was uns das ewige Fabulieren schon jetzt gekostet hat, zeigte jüngst der „Digital Riser Report“: Im Vergleich der G7-Staaten rutschte Deutschland auf den vorletzten Platz – und sieht damit digital ziemlich alt aus. Im G20-Vergleich wird es nicht besser, denn auch da schaffen wir nur einen müden Platz 18. Damit können und dürfen wir uns nicht zufriedenstellen! Hier geht es nicht um Patriotismus, sondern um weltwirtschaftliche Realität: Wenn wir jetzt nichts tun, drohen wir ein für alle Mal den Anschluss zu verlieren.

Paradebeispiel Italien: Endlich digitale Meter machen

Wenn man sich das Ranking genauer anschaut, erkennt man, wer das Digitalmomentum der Pandemie besser genutzt hat: Italien kletterte im G20-Vergleich stolze neun Plätze nach oben auf Position acht. Wie ist das gelungen? Herzstück des italienischen Digitalerfolgs ist die sogenannte „Repubblica Digitale“: eine Nationalstrategie für maximale digitale Inklusion und Bildung im Bereich Zukunftstechnologien für jede:n. Digitale Fähigkeiten innerhalb der Gesamtbevölkerung werden mit Workshops gefördert, Behördengänge sind online möglich, Lernplattformen werden ausgebaut – klingt das nicht auch wie Musik in Ihren Ohren? Ich denke, wir könnten uns hier ganz uneitel einiges abschauen. Also bitte liebe zukünftige Bundesregierung: Hier schon einmal ein wichtiger Impuls für die nächsten vier Jahre – das könnte doch ein Digitalministerium direkt als ersten Agendapunkt verankern. Bitte keinen falschen Stolz walten lassen und neidlos anerkennen, dass wir ähnliche Initiativen brauchen!

Abwrackprämie für Faxgeräte? Digitaldurchbruch mit allen Mitteln!

Mir wären angesichts der aktuellen Lage wirklich alle Mittel recht, die den Digitalfortschritt in irgendeiner Form fördern. Rostocks Oberbürgermeister scherzte in seiner brand.eins-Kolumne vor ein paar Wochen über eine Abwrackprämie in der städtischen Verwaltung für jedes ausrangierte Faxgerät. Man könnte lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre. Denn das ist eben nach wie vor die Realität in weit mehr Verwaltungsapparaten und Institutionen als nur derer im Nordosten – und das im Jahr 2021. Lassen Sie uns endlich Schluss machen mit diesem Wahnsinn!

Gut für Menschen, gut fürs Klima, gut für Deutschland

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Digitalisierung wird sich künftig auf alle unsere Lebensbereiche auswirken. Das ist keine Prognose, sondern Fakt. Sie fordert uns dabei einiges ab, vor allem Anpassungsfähigkeit und das sorgt für Unsicherheit – offenbar besonders bei der deutschen Politik. Doch im Gegenzug bietet sie enorme Potenziale für viele Herausforderungen unserer Zeit: Ein digitalisiertes Stromnetz kann mehr erneuerbare Energien in deutsche Haushalte speisen und macht E-Mobilität massentauglich – wichtige Bausteine im Kampf gegen die Klimakrise. Digitale Prozesse könnten den Verwaltungsapparat und das Gesundheitswesen entlasten, die nach wie vor unter den Pandemiefolgen ächzen. Und nicht zuletzt bietet sie die Chance, Bildung zu demokratisieren – vorausgesetzt, wir schaffen die passende, bundesweite Netzinfrastruktur UND statten Schulen und Universitäten endlich adäquat aus. Kurzum, Digitalisierung ist gut für unser Land, wenn wir es denn zulassen.

Liebe zukünftige Bundesregierung: Erkennen Sie endlich diese Potenziale und machen Sie sich diese zunutze – wie Sie sehen, könnte das auch beim Einlösen vieler weiterer Wahlversprechen helfen. Und wenn das nicht den Weg für eine würdige Nachfolge der Ära Merkel ebnet, weiß ich auch nicht.