Grüner Strom für Deutschland: Warum die Energiewende ohne Digitalisierung nicht zu schaffen ist
Elektromobilität? Ja, bitte – aber nur mit grünem Strom. Doch noch ist unser Stromnetz nicht bereit für eine komplett erneuerbare Energieversorgung. Dabei kann auch hier die Digitalisierung einen entscheidenden Beitrag leisten.
Vor kurzem habe ich mich zum Thema Elektromobilität geäußert und festgestellt, dass die umweltfreundliche Mobilität der Zukunft im Einklang mit umweltfreundlicher Energieversorgung weitergedacht werden sollte. Im Klartext: Wenn wir E-Autos bauen, sollen diese jawohl mit cleanem Strom aus erneuerbarer Energie fahren und nicht etwa mit Kohle- oder Atomstrom. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, merkt schnell: Das Stromnetz der Zukunft ist ein digitalisiertes Stromnetz. Und damit meine ich nicht, dass digitale Stromzähler den Verbrauch deutscher Haushalte messen. Was genau kann die Digitalisierung dann für die Energiewende leisten? Um das zu verstehen, muss man sich zunächst anschauen, welche Herausforderungen erneuerbare Energien mitbringen.
Solar- und Windenergie im Überfluss?
Tatsächlich ist es so, dass unser Land geografisch günstig gelegen ist, um einen Großteil unseres Energiebedarfs mittels Windkraft- und Solaranlagen zu decken. An Nord- und Ostsee gibt es viel Wind und auch Sonnenstunden haben wir reichlich – der subjektive Eindruck, dass man hierzulande doch fast das ganze Jahr Regen aushalten muss, erweist sich als trügerisch. Im vergangenen Jahr gab es bundesweit durchschnittlich immerhin 1.900 Sonnenstunden[1] – somit hätte jeder Tag etwa fünf Stunden Sonnenschein geboten. So weit, so gut: Die Energiequellen sind also da.
Die Krux besteht aber darin, dass diese erneuerbaren Quellen nicht rund um die Uhr und auch nicht in allen Regionen gleich viel Energie liefern können. Und vor allem nicht dann, wenn sie gebraucht wird. Beispielsweise scheint nachts, wenn die meisten Leute ihr Licht einschalten und mehr Strom benötigen als tagsüber, keine Sonne. Und die im windigen Norden produzierte Energie wird tendenziell eher im bevölkerungsreichen Süden und Westen der Republik benötigt. Hier kommt das deutsche Stromnetz aber an Leistungsgrenzen. Würde man die benötigte Energiemenge, wenn in Bayern mehrere Millionen Menschen gleichzeitig ihre Elektrogeräte anschalten, aus dem Norden durch die Leitungen nach Süden schicken, so würde das Netz schlichtweg überlastet. Es ist nicht flexibel genug, um große Mengen Strom schnell über weite Strecken zu befördern bzw. großen Schwankungen standzuhalten. Aber genau diese Schwankungen bringen erneuerbare Energien unweigerlich mit sich – darüber ist sich auch die Bundesnetzagentur längst im Klaren. Dem Thema Netzentwicklung und intelligente Systeme widmet sie daher eine eigene Landingpage. Was müssen wir also tun?
Digital ist besser, auch beim Stromnetz
Die Antwort könnte wie folgt aussehen: Überall im bundesweiten Stromnetz müsste man leistungsfähige Speichereinheiten installieren, die überschüssige Solar- und Windenergie speichern und ins Netz zurückspeisen, sobald diese benötigt wird. Woher sollen die Speicher wissen, wann Energie benötigt wird? Genau hier kommt die Digitalisierung ins Spiel. Mittels smarter Technik und KI könnte die Steuerung des Energieflusses gesteuert und optimiert werden. Pilotprojekte für genau solche Lösungen gibt es bereits. Jan Andersson berichtete kürzlich, dass sein Arbeitgeber Wärtsilä in Großbritannien gemeinsam mit dem Energieversorger Pivot Power eine Lösung für das schnelle Laden von elektrisch betriebenen Fahrzeugen implementiert hat.[2] Sie funktioniert genau nach dem geschilderten Prinzip und könnte ein gutes Vorbild für den Umgang mit dem steigenden Energiebedarf im Zusammenhang mit Elektromobilität in Deutschland sein. Smart, zukunftsfähig, digital.
Umbau zum Smart Grid: Bitte so schnell wie möglich!
Das Wort „könnte“ verrät es schon. Wir könnten Ähnliches in Deutschland wagen, allein die bürokratische Organisation und Zersplitterung der Netze – 2020 gab es über 870 Netzbetreiber[3] in der Bundesrepublik – stehen uns mal wieder im Weg. Hier müsste die Bundesregierung und auch die Bundesnetzagentur für ein einheitliches, zukunftsgewandtes Vorgehen sorgen und eine schnelle Umrüstung des deutschen Netzes hin zu einem „Smart Grid“ ermöglichen. Auch in Anbetracht dessen, dass das Bundesverfassungsgericht die Regierung kürzlich abmahnte, dass bisherige Maßnahmen und Gesetzgebung zur Abwendung der Klimakrise nicht ausreichen, um künftigen Generationen ein freiheitliches Leben zu garantieren. Ein smartes Stromnetz, dass den Umstieg auf erneuerbare Energien erleichtert, sollte also höchste Priorität haben!
Ist die Energiebranche bereit?
Doch unabhängig davon, wie schnell die digitale Transformation des Stromnetzes und Energiemarktes in Deutschland vorangeht – feststeht: Sie wird kommen. Digitale Lösungen und Steuerungstools werden auch hier zunehmend Arbeitsplätze überflüssig machen und neue Tätigkeitsfelder entstehen lassen. Die Branche sollte sich also schon jetzt rüsten und einem drohenden Stellenabbau mit Um- und Weiterbildungsmaßnahmen von Anfang an aktiv entgegenwirken. Falls es dabei Unterstützungsbedarf gibt, ich kenne da ein paar Leute, die gerne weiterhelfen.