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Weiterbildungsrepublik Deutschland: Wie Fachkräftesicherung langfristig gelingt

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Überall fehlt es an qualifiziertem Personal – kaum ein Betrieb hat derzeit keine offenen Stellen. Der Schatten des vielbeschworenen Fachkräftemangels schwebt über Deutschland: Andrea Nahles will das ändern – und nannte dies als eines ihrer Hauptziele beim Amtsantritt als Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Sie nimmt dafür immer wieder neue Maßnahmen in den Fokus, berufliche Weiterbildung findet bislang noch nicht genug Platz auf ihrer Agenda – dabei sind schon gute Voraussetzungen da. Anders beim Kollegen Hubertus Heil, der möchte Deutschland zur Weiterbildungsrepublik machen. Derzeit fehlt ihm dafür aber offenbar die politische Rückendeckung. Wieso wir trotzdem an diesem Ziel festhalten sollten, habe ich hier aufgeschrieben.

Seit August vergangenen Jahres ist Andrea Nahles als Chefin der Bundesagentur für Arbeit im Einsatz. Eines ihrer selbst erklärten Hauptziele ist es, den vielbeklagten Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. Dafür schlägt Nahles immer wieder neue Maßnahmenpakete vor: Arbeitskräfte aus dem Ausland zu akquirieren und mittels einer besseren Willkommenskultur im Land zu halten, sei eine wichtige Route. Auch Kanzler Scholz setzt sich für erleichternde Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für ausländische Fachkräfte ein – erst kürzlich warb er während einer Indienreise für Visa-Erleichterungen, um ganz speziell IT-Fachkräfte anzulocken. Zwischenzeitlich kam zudem eine Arbeitszeitverlängerung auf 42 Wochenstunden ins Gespräch – wurde jedoch in öffentlichen Debatten mehr oder weniger niedergeschmettert.

Mit Sätzen wie „Arbeiten [sei] kein Ponyhof“, wollte Nahles jüngst die jüngere Generation für mehr Kompromissbereitschaft sensibilisieren – so richtig gut kam das bei dieser allerdings nicht an. Auch die Älteren werden von ihr eingeschworen: Sie sollen noch später in Rente gehen, um Fachkräftelücken nicht weiter zu vergrößern. Der Trend zum längeren Arbeiten sei ja ohnehin längst da, daher seien spezielle Arbeitsplätze für Senior:innen nur konsequent. Ob der Trend zum längeren Arbeiten jedoch einer inhärenten Motivation oder eher finanziellem Erfordernis geschuldet ist, sei hier mal dahingestellt. Einen Mangel an Kreativität und Engagement kann man der Bundesagentur-Chefin nicht vorwerfen, selbst wenn die Vorschläge nicht immer allen schmecken mögen. Was man allerdings anmerken kann: Der Bereich beruflicher Weiterbildung wird von Nahles im Maßnahmenmix aktuell scheinbar ausgeklammert. Warum eigentlich? In vorangegangenen Jahren haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) und die Bundesagentur schließlich bereits richtig gute Voraussetzungen für umfassende Fördermöglichkeiten beim Thema Weiterbildung geschaffen – genannt seien hier etwa das Qualifizierungschancengesetz und das Arbeit-von-morgen-Gesetz. Könnte man also nicht eher an die guten Errungenschaften in diesem Bereich anknüpfen, um die nach wie vor zu niedrigen Auslastungen dieser Fördermöglichkeiten nach oben zu bringen? Scheinbar wissen schließlich immer noch zu wenige Betriebe über diese Möglichkeiten Bescheid oder finden sich bei den Antragsmodalitäten nicht zurecht – anders kann ich mir das jedenfalls nicht erklären.

Die Weiterbildungsrepublik – eine Utopie?

Immerhin soll Deutschland doch eigentlich Weiterbildungsrepublik werden, jedenfalls wenn es nach Arbeitsminister Hubertus Heil geht. Denn genau diesen Begriff nutzte der Bundesminister in den vergangenen zwei Jahren immer wieder. Er krönt auch die Website des BAMS. Ich persönlich bin absoluter Unterstützer dieser Zielsetzung, da sie genau die richtige Fahrtrichtung vorgibt, um dem Arbeitsmarkt der Zukunft gerecht zu werden: Wir erleben doch bereits heute in großen Teilen der Wirtschaft, wie schnell und umfassend sich Prozesse und Kenntnisanforderungen in Berufszweigen verändern: Genannt sei neben der umfassenden Digitalisierung des Arbeitsmarktes ganz speziell die Automobilindustrie, die sich an klimafreundliche Mobilitätsalternativen und Elektroantriebe anpassen muss. Ein weiteres Beispiel ist das Themenfeld Nachhaltigkeit, was sich durch neue Regularien für mehr Fairness und Klimaschutz in Wertschöpfungsketten bemerkbar macht. Und eben dieser Wandel wird sich durch technische Fortschritte und neue Anforderungen im Sinne der Nachhaltigkeit künftig immer weiter beschleunigen. Demzufolge werden immer mehr Menschen im Laufe ihres Berufsweges regelmäßig neues Wissen und neue Fähigkeiten benötigen, um ihre Jobs weiter ausführen zu können.

Das prognostizieren auch verschiedene Forschungsarbeiten der vergangenen Jahre: Bereits 2017 schätzte das McKinsey Global Institute, dass bis zum Jahr 2030 bis zu 375 Millionen Beschäftigte – 14 Prozent der weltweiten Erwerbsbevölkerung – aufgrund von Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz den Beruf wechseln oder sich neue Qualifikationen aneignen müssen. Auch ein aktueller Projektbericht des BAMS zeigt auf, dass sich die Arbeitswelt im Jahr 2040 stark von der heutigen unterscheiden werde. Bis dahin würden zwar fast 4,13 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, gleichzeitig würden aber auch 4,27 Millionen Arbeitsplätze wegfallen – getrieben von Digitalisierung und demografischem Strukturwandel. Wir schlittern also geradewegs in einen noch größeren Mangel, den umfassenden Qualifizierungsmangel.

Finanzierungs- und Umsetzungsfragen bremsen Bildungsstrategie

Und genau aus diesem Grund ist die Zielsetzung von Bundesminister Heil, berufliche Weiterbildung fest als Teil unseres Wirtschaftens zu verankern, so wichtig. Im September vergangenen Jahres stellte das BAMS eine gemeinsam mit Partnern weiterentwickelte Nationale Weiterbildungsstrategie vor. Minister Heil versprach damals, er würde noch in 2022 einen weitreichenden Gesetzentwurf für einen echten Weiterbildungsbooster vorlegen: „Mit einem Qualifizierungsgeld wollen wir besonders vom Strukturwandel betroffene Unternehmen entlasten. Und mit der Bildungszeit ermöglichen wir Beschäftigten mehr Freiraum, um sich weiterzubilden. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung und sorgen dafür, dass die Beschäftigten die Arbeit von morgen schaffen können.“

So schön diese Pläne auch klangen, Realität sind sie bisher leider nicht geworden. Das Bundesfinanzministerium erteilte etwa der geplanten Bildungszeit im Januar eine Finanzierungsabsage. Aus der Traum vom Weiterbildungsland? Jedenfalls scheinen Mitstreitende von Hubertus Heil andere Lösungsansätze zur Fachkräftesicherung für wichtiger zu halten. Lösungen für die aktuellen Lücken mögen drängender wirken, doch wer denkt, dass die Fachkräftezuwanderung in Null-Komma-Nichts all unsere Probleme löst, der ist auf dem Holzweg. Auch diese braucht Zeit, um positive Effekte zu entfalten. Und wir können es uns schlicht nicht leisten, das Thema Weiterbildung zu parken – der Qualifizierungsbedarf für Themen rund um Nachhaltigkeit, neue Mobilität und Digitales ist doch längst da! Und die Beschäftigten sind bereit, sich neues Wissen und neue Fähigkeiten anzueignen – immerhin nehmen immer mehr Menschen Bildungsangebote wahr.

Berufliche Weiterbildung: Den Aufwärtstrends nutzen

Nun nämlich nochmal zu einer guten Nachricht. Im Jahr 2020 erlebten wir laut statistischem Bundesamt die höchste bisher gemessene Teilnahmequote an beruflicher Bildung: Denn im ersten Pandemiejahr nahmen in Deutschland erstmals mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Beschäftigten von Unternehmen, die für ihre Belegschaft Lehrveranstaltungen anboten, solche Angebote wahr. Die Teilnahmequote lag damit 8 Prozentpunkte höher als noch im Jahr 2015 und 16 Prozentpunkte höher als im ersten Erhebungsjahr 1999. Der Erfassungszeitpunkt ist dabei fairerweise nicht ganz unerheblich: Das erste Pandemiejahr war mutmaßlich ein ziemlich gutes Jahr für Weiterbildungsangebote, da durch Lockdowns und Auftragsflauten mehr Menschen Zeit hatten, sich fortzubilden als je zuvor. Noch dazu wurden Bildungsangebote vielfach digitalisiert und remote angeboten, so dass auch flexiblere Teilnahmen an Lehrveranstaltungen möglich wurden.

Das mag alles zum Wachstum der Quote beigetragen haben – das muss aber im Umkehrschluss nicht heißen, dass diese nach Wegfall der Pandemieeinschränkungen automatisch wieder auf das Niveau von 2015 abgesunken ist. Sicher haben die flexibleren Lernmöglichkeiten digitaler Bildungsangebote viele Menschen überzeugt, betriebliche Lernangebote auch weiterhin wahrzunehmen. Wie hoch die bundesweite Quote inzwischen ist, erfahren wir leider erst in einigen Jahren. Da das statistische Bundesamt seine Erhebung nur alle fünf Jahre durchführt.

Alles in allem ließe sich an diesem Aufschwung aber gut ansetzen. Klar, finanzielle Fragen müssen gelöst werden – und die Lage ist dafür undankbar. Das Thema aber zu sehr zu vertragen, halte ich für gefährlich. Hubertus Heils Nationale Weiterbildungsstrategie hat sich zum Ziel gesetzt, Weiterbildungen als festen Bestandteil beruflicher und unternehmerischer Entwicklung zu etablieren und eine gemeinsame Weiterbildungskultur in Deutschland zu schaffen. Genau dort müssen wir hin! Moderne Formen des digitalen Lernens können hier einen echten Schub bringen – sie machen das Lernen zu jeder Zeit möglich und trumpfen mit Skalierbarkeit für die Unternehmen und Flexibilität sowie Abwechslungsreichtum für die Arbeitnehmenden auf. Kann der Traum der Weiterbildungsrepublik noch Wirklichkeit werden? Ich sage: Ja, wenn wir geförderte berufliche Bildung tatsächlich als staatliches Instrument für eine starke Wirtschaft verstehen, das uns bei aktuell brennenden Transformationsthemen unterstützt. Und dafür auch die bereits geschaffenen Fördermöglichkeiten für Weiterbildung in Bezug auf ihre Attraktivität und mögliche Komplexitäten überprüfen. Ich kenne Regionalchefs der Bundesagentur, die sich den berühmten Hintern aufreißen, um diese Programme den Unternehmen sehr nachvollziehbar zu erklären. Trotzdem werden sie noch zu wenig genutzt, hier muss also nochmals nachgelegt werden.