Das lehrt uns die COP27: Drei Handlungsfelder für die Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen
Auf der 27. UN-Klimakonferenz in Ägypten wird eifrig über konsequenteren Klimaschutz diskutiert – und neben Staatspolitik ist hier vor allem die freie Wirtschaft gefragt. Denn die Zeit auf politische Vorgaben zu warten, haben wir einfach nicht mehr – jetzt ist die Eigeninitiative von Unternehmen gefragt. Ein Expert:innenrat hat daher einen Leitfaden vorgelegt, mit dem nicht-staatliche Akteure und Organisationen einen echten Beitrag für die Zukunft unseres Planeten leisten können – und halbherzige Bekenntnisse ohne Effekt vermeiden. Was deutsche Unternehmen daraus für ihre Klimastrategien ableiten können und welche Rolle Wissensaufbau in diesem Zusammenhang spielt, habe ich hier aufgeschrieben.
Ein großer Teil der Welt blickt dieser Tage nach Ägypten auf die Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Wenn gut 30.000 Menschen zusammenkommen, um über die Zukunft von Planet und Menschheit zu beraten, ist die Erwartungshaltung groß. Besonders da auf der letzten Konferenz in Glasgow viele Absichten verkündet wurden, deren Umsetzungen noch immer auf sich warten lassen. Anhand solcher Entwicklungen halten es viele Expert:innen nicht mehr für realistisch, dass 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen noch zu halten – müssten doch bis 2030 die jährlichen Treibhausgasemissionen global in etwa auf die Hälfte sinken. Das darf uns allerdings auf keinen Fall in der bisherigen Wandlungsresistenz bestätigen, sondern muss endlich wachrütteln und die Dringlichkeit für einen massiven politischen und weltwirtschaftlichen Richtungswechsel unterstreichen – daher hat insbesondere die Überführung bloßer Zusagen in greifbare Maßnahmenpläne hohe Priorität für Beobachter:innen der Conference of the Parties.
Zeit, ehrlich in den Spiegel zu sehen: Greenwashing adé
Immerhin zählt wirklich jede eingesparte Tonne CO2, um die sich in wissenschaftlichen Szenarien anbahnenden Katastrophen abzuwenden und die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts möglichst auf unter 2 Grad zu beschränken. Wohl auch deshalb richten sich Expert:innen im Rahmen der Klimakonferenz längst nicht mehr nur an Politiker:innen, die mit gesetzlichen Vorgaben den Wandel politisch erzwingen könnten, sondern auch nicht-staatliche Entscheidungsträger:innen sollen ihren Teil beitragen. So äußerte sich auch UN-Generalsekretär António Guterres klar zur Verantwortung nicht-staatlicher Akteure für das Abwenden der Klimakrise: „We cannot afford slow movers, fake movers or any form of greenwashing.“
Guterres hatte eine entsprechende Expert:innengruppe einberufen, die in Vorbereitung auf die COP 27 klare Empfehlungen dafür zusammenstellte, um echte Verantwortung in diesem Zusammenhang zu übernehmen. In den auf der Konferenz vorgestellten „Recommendations of Expert Group on Net-Zero Commitments of Non-State Actors“ wird deutlich, dass bisherige Bekenntnisse aus der freien Wirtschaft längst noch nicht ausreichen – weil mit völlig falschen Datengrundlagen gearbeitet würde. Die Expert:innen fordern deshalb u. a., dass sich Unternehmen bei der Bilanzierung für eine strategische Entscheidungsbasis auf ihre absoluten Emissionen konzentrieren. Denn beim Aufstellen von Nachhaltigkeitszielen werde laut der Vorsitzenden der Gruppe, Catherine McKenna, oft gar nicht die gesamte Wertschöpfungskette abgebildet. Hierdurch entstehe ein völlig verzerrtes Bild des tatsächlichen Handlungsbedarfs und würde im großen Stil (mal mehr mal weniger unbeabsichtigtes) Greenwashing betrieben. Dass daran in diesen Zeiten wirklich absolut niemand Interesse haben kann, ist wohl klar.
Realistisch, transparent und verbindlich: Das forderte die Expert Group auf der Klimakonferenz
Um zu verstehen, wo die Probleme liegen und was die Gruppe als Verbesserung vorschlägt, habe ich mir einige der Forderungen und Empfehlungen einmal genauer angesehen und drei für mich zentrale Handlungsfelder zusammengetragen. Die Expert:innen fordern u.a.:
1. Die Bekenntnis zur Umsetzung von Net-Zero, unterlegt mit konkreten Zwischenzielen
Insofern noch nicht geschehen, sollte die Führungsebene einer Organisation bzw. eines Unternehmens sich öffentlich zum Ziel Net-Zero verpflichten und dadurch globale Klimaschutzbemühungen angemessen mittragen. In diesem Zusammenhang soll eine solche Verpflichtung daher ganz konkrete Zwischenziele enthalten (einschließlich Zielen für 2025, 2030 und 2035). Die dafür nötigen Umsetzungspläne sollten aus Sicht der Expert:innen im Einklang mit dem vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) oder dem von der Internationalen Energieagentur modellierten Leitfaden stehen, der folgende Ziele unterstützt: einen Rückgang der globalen Emissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent, eine Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst 1,5°C und die Erreichung des Emissionen-Netto-Nullpunkts bis 2050 oder früher – sowie dessen nachfolgende Aufrechterhaltung. Die dafür nötigen kurz-, mittel- und langfristigen Emissionsminderungsziele müssten dabei für die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens gelten.
Mein Take-away: Für die Bekenntnis zu Net-Zero ist eine ganzheitliche Betrachtung des CO2-Fußabdrucks entscheidend, um Fortschritte zu machen, die uns weiterbringen und nicht nur auf das Image einzahlen. Hierbei sprechen die Expert:innen insbesondere die bisher zu wenig beachteten sogenannten Scope-3-Emissionen an. Diese machten laut der Vorsitzenden Catherine McKenna bei manchen Organisationen bis zu 95 Prozent der Emissionen aus. Der Allianz für Klima und Entwicklung zufolge beschreibt der Begriff „Scope 3“ die Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette eines Unternehmens – und sie sind häufig deshalb schwerer zu bilanzieren sind, weil Unternehmen meist keinen transparenten Einblick in alle Vorgänge entlang der Wertschöpfungskette erhalten. Daher können sie vom bilanzierenden Unternehmen auch schwerer beeinflusst werden. Der Expert Group zufolge besteht also ein klarer Handlungsauftrag an die Wirtschaft sich auch mit diesen Emissionen auseinanderzusetzen und Verantwortung für ihre Reduzierung zu übernehmen.
2. Die transparente Offenlegung von Umstellungsplänen sowie fortlaufende Berichterstattung über deren Fortschritte
Nichtstaatliche Akteure müssten nach Ansicht der Expert:innen zudem ihre individuellen Umstellungspläne offenlegen und transparenten Einblick über die Maßnahmen geben, die zur Erreichung der obengenannten Ziele ergriffen werden. Dazu zählen u.a. Anpassungen der Organisationsstruktur und bei Investitionsausgaben, für Forschung und Entwicklung, aber auch im Bereich Qualifizierung und Personalentwicklung. Die Expert:innen legen zudem nahe, diese Übergangspläne alle fünf Jahre zu aktualisieren, um überall dort nachzujustieren, wo langfristige Zielerreichungen dies erforderlich machen. Über die gemachten Fortschritte soll jährlich öffentlich Bericht erstattet werden.
Mein Take-away: In erster Linie geht es hierbei um Transparenz und Offenlegung der getroffenen Maßnahmen, um sich gegenüber der Öffentlichkeit tatsächlich verantwortlich zu zeigen und bloßen Zielvereinbarungen Leben einzuhauchen. Was ich darüber hinaus besonders schätze, ist die Betonung der Anpassungsnotwendigkeit im Bereich Qualifizierung und Personalentwicklung. Denn ich bin mehr als überzeugt, dass sich für die Umsetzung konsequenter Umstellungspläne transformative Umbrüche ergeben, für die neues Wissen und neue Fähigkeiten unerlässlich sind – wenn sich etwa Abläufe und Anforderungen im Betriebsablauf verändern, müssen Menschen befähigt werden, diesen entsprechend gerecht zu werden. Nur so können sie ihren Beitrag leisten und Umstellungspläne zum Erfolg führen.
3. Der vollständige Ausstieg aus fossiler Energienutzung und Ausbau der erneuerbaren Energien
Alle Net-Zero-Zielzusagen und Umstellungspläne müssten nach Ansicht der Expert:innen auch ganz explizit ein Ende der Nutzung bzw. Unterstützung fossiler Brennstoffe beinhalten – hierzu verweist die Gruppe erneut auf vom IPCC und der Internationalen Energieagentur modellierte Leitfäden für eine Net-Zero-Strategie inklusive der dafür nötigen Etappenziele. Der Ausstieg aus fossiler Brennstoffnutzung muss überdies mit einem vollständig finanzierten Übergang zu erneuerbaren Energien einhergehen. Dabei wird betont, dass dieser Übergang fair für alle ablaufen muss, ohne dass einzelne Gemeinschaften, Arbeitnehmende oder Verbrauchende benachteiligt werden. Zudem gilt es explizit zu vermeiden, dass durch Umstiege schlicht die Eigentümerschaft fossiler Energieträger auf andere Akteure verschoben wird und somit an anderer Stelle mehr Emissionen entstehen als zuvor.
Mein Take-away: Ein entscheidender Punkt ist also, dass Unternehmen bei der Umstellung ihrer Energiebezugssysteme tatsächlich konsequent agieren und eine gerechte Übergangsphase möglich machen, die nicht zu Lasten anderer geschieht. Wir müssen uns bewusst machen, dass in einer globalen Krise solidarisch agiert werden muss und wir alle das gleiche Ziele verfolgen: Treibhausgasausstöße global zu reduzieren. Es bringt daher nichts, wenn nur wenige Akteure Zugang zu ausreichend „cleaner“ Energie erhalten und andere dafür mit unzureichender Energieversorgung gestraft werden – das öffnet Einfallstöre für Rückschritte und widerspricht den sozialen Prinzipien nachhaltiger Entwicklung. Daher darf die Lösung ebenso wenig lauten, dass einzelne energieintensive Produktionsabläufe ausgelagert werden, um sich von CO2-Emissionen bzw. der Nutzung fossiler Energieträger vermeintlich freizumachen. Das kommt nicht nur mutwilliger (Selbst-)Täuschung gleich, es steht auch im Kontrast zu einer konsequenten Bilanzierung der absoluten Emissionen der eigenen Wertschöpfungskette, inklusive der Scope-3-Emissionen (siehe Punkt 1). Mit dieser Form von Greenwashing wäre nicht nur niemandem geholfen, sie hält uns auch auf, da wir uns selbst belügen und verschleiern, wie groß der Handlungsbedarf tatsächlich ist. Entscheidend ist daher, dass Unternehmen tatsächlich über so viel Einblick und Weitsicht verfügen, die realexistierenden Umstände ihres Wirtschaftens bewerten und möglichem bisher inkonsequentem Verhalten endlich gegensteuern zu können.
Ohne Tiefenwissen bleibt der Transformationsturbo aus
Die von der Expert:innengruppe auf der Klimakonferenz aufgelisteten Handlungsfelder für einen effektiven Beitrag der Wirtschaft zu globalen Klimaschutzanstrengungen zeigen für mich in vielfacher Hinsicht auf, dass an entscheidenden Stellen nach wie vor das Wissen fehlt, um Transformationsprozesse konsequent aufsetzen und in ihrer Umsetzung immer wieder kritisch bewerten zu können – besonders beim Thema Bilanzierung. Ein entscheidendes Mittel, um das Tempo der Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft inklusive einer Reduktion des absoluten CO2-Fußabdrucks zu erhören, ist und bleibt daher Bildung. Denn nach wie vor wissen viele Entscheider:innen und Mitarbeitende offenbar zu wenig über die realen Auswirkungen ihres täglichen Handelns für den Planeten oder darüber, was eine konsequente Net-Zero-Strategie ausmacht. Und mit dieser Form des von Naivität bis zur blanken Ignoranz mündenden Selbstbetrugs können wir nicht länger weitermachen. Daher kommt es jetzt darauf an, dass Unternehmen diese Wissenslücken schließen und jeder die Kenntnisse zum Thema aufbauen kann, um seinen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft zu leisten. Packen wir’s an!