Nachhaltige IT: So helfen Kreislaufstrategien gegen das Elektroschrottproblem
Kaum ein Bereich gilt als so großer Hoffnungsträger für schnelle Fortschritte beim Thema Nachhaltigkeit wie der IT- und Digitalsektor. Denn digitale und Datenlösungen sollen uns helfen, schneller klimaneutral zu werden und nachhaltiger zu wirtschaften. Damit das gelingt, müssen wir vor allem im IT-Sektor, der immer größere Ressourcen beansprucht, gezielt an Lösungen für eine funktionierende Kreislaufstrategie arbeiten. Welche Schritte hierfür wichtig sind, habe ich hier aufgeschrieben.
Eine auf Nachhaltigkeitsanforderungen vorbereitete IT-Infrastruktur kann im Unternehmen sehr gezielt bei der Transformation unterstützen – beispielsweise durch potenzialorientierte Datenerfassung und -auswertung rund um Treibhausgasemissionen oder Ressourcennutzungen. Digitale Daten schaffen so die nötige Handlungsgrundlage zur Bewertung und Weiterentwicklung von Optimierungsstrategien für das gesamte Unternehmen oder dessen Teilbereiche. Was wir dabei nicht aus den Augen verlieren sollten: Durch den steigenden Digitalisierungsgrad drohen auch die Energie- und Ressourcenverbrauche im IT-Bereich immer mehr anzuziehen.
IT-Hardware: Technik-Upgrades mit bitterem Beigeschmack
Denn ähnlich wie Privatpersonen beziehen auch Unternehmen immer mehr und vor allem immer schneller neue leistungsfähige IT-Hardware. Smartphones werden nur noch rund 2,7 Jahre und Laptops im Durchschnitt nur noch gut vier Jahre genutzt.[1] Befeuert wird diese Tendenz im Geschäftskontext etwa von schnelleren Abschreibungsmöglichkeiten bei technischen Geräten, die das Finanzamt im Jahr 2021 gewährte. Damit soll dem technischen Fortschritt Rechnung getragen werden. Was zunächst nach einer guten Idee klingt, ist im Sinne von Nachhaltigkeit allerdings nicht ideal. In den meisten Fällen gilt nämlich tatsächlich: Je länger ein Gerät genutzt wird, desto nachhaltiger. Selbst wenn ein neuer Laptop weniger Energie verbraucht als das Vorgängermodell, dieses aber noch einwandfrei funktioniert und dem neuen Gerät nur in wenigen technischen Aspekten unterlegen ist, dann ist die Neuanschaffung sicher keine nachhaltige Entscheidung: Damit sich Rohstoffverbrauch und Emissionen für die Herstellung des Neugerätes amortisieren könnten, müsste es dann nämlich sehr lange genutzt werden – doch in der Zwischenzeit steht der geschilderten Mentalität zufolge längst ein weiteres Geräte-Upgrade auf der Agenda. Der Trend geht also klar in die falsche Richtung.
Elektroschrott- und Rohstoffmengen in der Urbanen Mine wachsen stetig
Laut UN lag die Menge von Elektroschrott im Jahr 2019 bei 53,6 Millionen Tonnen – was einem Anstieg von über neun Millionen Tonnen innerhalb von fünf Jahren gleichkommt. Für das Jahr 2030 prognostizierten die UN-Expert:innen fast 75 Millionen Tonnen – unfassbar! Und leider steigen Recyclingquoten noch längst nicht in gleichem Maße. Über 80 Prozent der Altgeräte würden noch immer nicht fachgerecht entsorgt. Zudem gibt es ein weiteres Problem: Elektromaterial, das schlicht verstaubt und gar nicht aufbereitet wird. Dabei spricht man auch von der sogenannten „Urbanen Mine“. Sie beschreibt im Vergleich zur klassischen Rohstoffmine menschengemachte Rohstoffvorkommen, die sich vor allem im städtischen Raum ballen. Dazu zählen etwa Brücken und leerstehende Gebäude, aber eben auch Waschmaschinen, Kühlschränke oder alte Elektronik-Hardware wie Handys und Smartphones. Dem Digitalverband Bitkom zufolge lagerten in deutschen Haushalten im Jahr 2022 rund 210 Millionen Althandys. Demnach verfügten 87 Prozent der Bürger:innen über mindestens ein ausrangiertes Handy, das in einer Schublade verstaubt, obwohl es wertvolle Rohstoffe wie Gold, Kupfer oder Nickel enthält – und diese Zahl habe sich seit 2015 mehr als verdoppelt, während gerade einmal fünf Prozent, der jährlich in Deutschland verkauften Mobiltelefone ihren Weg ins Recycling fänden. Wie fatal das für die Ressourcenbilanz ist, zeigen auch folgende Zahlen: Eine Tonne Handyschrott enthält rund 240 Gramm Gold, zweieinhalb Kilogramm Silber, 92 Gramm Palladium, 92 Kilogramm Kupfer und 38 Kilogramm Kobalt mit einem Gesamtwert von rund 10.000 Euro. Und auch beim Elektroschrott aus Computern und Laptops kann eine Menge wertvoller Rohstoffe abfallen: etwa 70 Kilogramm Kupfer, 140 Gramm Silber und 30 Gramm Gold.
Wir stehen beim Ressourcenkreislauf noch am Anfang
Wie schlecht wir beim Thema Recycling weltweit dastehen, zeigt etwa der Bericht der NGO Circle Economy beim Zusammenkommen des Weltwirtschaftsforums: Während 2017 bereits lediglich 9 Prozent der Ressourcen wiederverwertet wurden, fiel dieser Wert 2022 auf erschreckende 7,2 Prozent. Demzufolge flossen 93 Prozent aller Ressourcen, die wir im vergangenen Jahr aus dem Boden holten, nicht etwa zurück in den Kreislauf, sondern wurden verbrannt, in Ozeane oder auf Mülldeponien gekippt. Was für eine Schande! Auch in der EU hinken wir trotz weitreichender Vorgaben zur Wiederverwendung von Ressourcen leider hinterher: Bezogen auf die Sammlung von altennElektronikgeräten konnten 2019 nur 24 von 27 EU-Mitgliedstaaten ihre Zielvorgaben erreichen, wodurch Schätzungen zufolge bis zu 4,8 Millionen Tonnen an Materialien für Wiederverwendung und Recycling verloren gingen. Doch es gibt Hoffnung, denn seit vergangenem Jahr gilt etwa in Deutschland das neue Elektrogesetz: Demnach müssen alle Herstellermarken und Verkäufer:innen die Rücknahme und ordnungsgemäße Entsorgung von Altgeräten sicherstellen.
Zirkuläre IT: Diese Möglichkeiten gibt es bereits
Zusätzlich nutzen Technikanbieter wie Apple eigene Trade-in-Programme, um Konsument:innen und Business-Kund:innen dazu zu animieren, ihre Altgeräte dem Ressourcenkreislauf zurückzuführen. Dabei werden die alten Modelle entweder auf den Kauf neuer Ware angerechnet oder schlicht kostenlos zurückgenommen und recycelt. Darüber hinaus kann es speziell für Unternehmen enorm sinnvoll sein, die eigene Hardwarenutzung insgesamt zu hinterfragen. Alternativ können für Laptops und Co. beispielsweise Leasing- und Device-as-a-Service-Modelle deutliche Vorteile in Bezug auf den CO2-Abdruck, Ressourcenverbrauch und die Flexibilität bezüglich der Nutzungsdauer bieten. Das bestätigt auch die Green IT-Studie von CHG-MERIDIAN und dem belgischen VITO-Institut: Durch die genannten Nutzungsmodelle könnten Unternehmen bis zu 50 Prozent Emissionen gegenüber einer Neuanschaffung sparen und auch zu einer Ressourcenreduktion um bis zu Zweidrittel gegenüber Neugeräteproduktion beitragen. Abseits dessen gibt es immer wieder lokale Projekte, in denen Smartphones oder Laptops von Unternehmen gesammelt, passend aufbereitet und anschließend an einkommensschwächere Familien oder Studierende vermittelt oder in Projekten, die der Öffentlichkeit zugutekommen, genutzt werden. Ausgediente Smartphones können zudem an den NABU oder die Deutsche Umwelthilfe gespendet werden – hier fließen die Erlöse aus den jeweiligen Recyclingprogrammen in Natur- und Umweltschutzprojekte.
Kreislaufstrategien lernen: So durchbrechen wir den Modus Operandi
Und obwohl es immer mehr Initiativen gibt, die eine Kreislaufwirtschaft im IT-Bereich greifbarer machen, gibt es dennoch einige Hürden, die es zu überkommen gilt. Die meist noch voll funktionstüchtige Hardware wird häufiger eingelagert als sie dem Kreislauf zurückzuführen, weil vielen Unternehmen schlicht das Bewusstsein für die enormen Potenziale – aber auch essenzielles Know-how zur Datenlöschung, Wiederaufbereitung und Weitervermarktung ihrer IT-Hardwareprodukte – fehlt.
Ich halte es daher für unabdingbar, dass Betriebe hier nachjustieren und das dringend nötige Wissen rund um diese Themenbereiche durch passende Lernangebote innerhalb ihrer Belegschaft verankern. Es gilt einerseits, Verständnis für die Vorteile und Funktionalität von Kreislaufmodellen bei allen Beteiligten in der Nutzungskette zu schaffen – von IT-Verantwortlichen, die sich um die Beschaffung der Hardware kümmern, bis zu den Teams selbst, die täglich damit arbeiten. Um IT-Teams mit passendem Nachhaltigkeitswissen für den Arbeitsalltag auszustatten, haben wir bei XU erst kürzlich gemeinsam mit unserem Partner adesso ein passendes Wissensangebot geschaffen – welches neben einer grundlegenden Einführung über die Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Digitalwirtschaft auch den Bereich Zirkuläre IT abdeckt.
In diesem Zusammenhang ist es auch nötig, dass etwaige Vorbehalte rund um das Thema Datensicherheit abgebaut werden. Auch hier hilft entsprechender Wissensaufbau und konkrete Praxisschulungen, die Unsicherheiten ausräumen. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen in diesem Zusammenhang einen besonders großen Wirkungshebel haben – und diesen auch nutzen sollten. Schließlich verfügen ihre Angestellten in der Regel nicht nur über die betrieblichen Geräte, sondern auch über private Hardware. Durch neues Wissen über zirkuläre IT-Strategien und digitale Nachhaltigkeit werden innerhalb der Belegschaft also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, da dieses sich auch nach Feierabend noch positiv auswirkt. Wer noch weitergehen möchte, etabliert eigene Recycling- oder Sammelinitiativen, bei denen auch private Technik abgegeben werden kann und erleichtert der Belegschaft so den verantwortungsvollen Umgang mit Digitalgeräten und wertvollen Ressourcen.
[1] Quelle: Lernkurs „Digital Sustainability by adesso” XU School of Sustainability