Mit digitalem Fortschritt zum Klimarückschritt: Warum die IT-Branche jetzt dringend nachhaltiger werden muss
Digitale Arbeitsgebiete wie der IT-Sektor haben den Ruf, bereits besonders nachhaltig zu sein: der Logik folgend, dass papierlose Anwendungen und Kommunikation inhärent grün wären. Diese Annahme unterschlägt allerdings den hohen Ressourcenbedarf für datenintensive Rechenleistungen und schnelllebige Hardwarekomponenten, bei denen Leistungsspitzen im Fokus stehen. Prognosen zufolge könnte die Verarbeitung digitaler Daten bis 2040 sage und schreibe 14 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen. Wir brauchen daher mehr Aufmerksamkeit und Verständnis unter IT-Profis über den tatsächlichen Einfluss der Branche, um das Potenzial der Digitalisierung für eine nachhaltigere Welt konsequenter zu nutzen. Ich bin überzeugt: Flächendeckender Wissensaufbau ist das wirksamste Mittel, um die IT- und Software-Branche vom Code bis zur Hardware nachhaltig zu gestalten. Und damit sollten wir lieber heute als morgen starten!
Digitalisierung und Nachhaltigkeit zählen zu den wichtigsten Innovationstreibern unserer Zeit: Sie sind essenziell, damit wir eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen greifbarer machen können. In diesem Zusammenhang spüren wir immer wieder, dass Innovation nicht ohne umfassende Veränderungen auskommt: Die digitale Transformation etwa verändert die Art wie wir kommunizieren, zusammenarbeiten, konsumieren – kurzum, wie wir unseren Alltag bestreiten. Das gleiche gilt auch für Nachhaltigkeit: Tiefgreifende Veränderungen aller Lebensbereiche sind unumgänglich, damit wir besser mit Ressourcen umgehen und eine gerechtere Zukunft für alle ermöglichen können. In diesem Zusammenhang ist für mich entscheidend, dass die beiden Themenfelder nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Vielmehr müssen sie sich kontinuierlich gegenseitig befruchten, damit sie ihr volles Potenzial entfalten und konsequent zu Ende gedacht werden können.
Die digitale Zukunft muss zwingend auch nachhaltig gedacht werden
Ein gutes Beispiel dafür ist, dass digitale Anwendungen dabei helfen können, ressourcenschonender und nachhaltiger zu agieren und zu wirtschaften – etwa durch bessere Planungen mit digitalen Modellrechnungen, smarten Produktionsüberwachungen und automatischer Prozessoptimierung wie es beispielsweise in Smart Factories der Fall ist. Eine Bitkom-Studie zeigte 2021, dass die Digitalisierung zu 34 Prozent zum deutschen Klimaziel 2030 beitragen kann. Um diese Potenziale nutzen zu können, sind leistungsfähige digitale Infrastrukturen wie Rechenzentren und Breitbandnetze notwendig.
Um auf das notwendige Wechselspiel zurückzukommen, gilt es allerdings zu bedenken, dass auch die Digitalbranche nachhaltiger werden muss, um sich zukunftsfähig aufzustellen – denn zum einen machen Ressourcenknappheiten und steigende Energiekosten auch vor der IT-Welt keinen Halt, es ist also ein ökonomisches Erfordernis. Zudem muss die Branche, wie jede andere, zwangsläufig auch Verantwortung für ökologische Auswirkungen übernehmen und diese reduzieren. Wie groß der Handlungsbedarf im Themenfeld „Sustainable IT“ insbesondere in puncto Energiebedarf und CO2-Abdruck von Rechenzentren und Software-Anwendungen ist, wird meiner Wahrnehmung nach allerdings weithin unterschätzt. Mir drängt sich fast schon der Eindruck auf, dass die IT-Welt in den vergangenen Jahren eine Art Freibrief erhalten hat. Nach dem Motto: Die machen etwas für die Zukunft, das ist doch die Hauptsache. Dabei laufen wir aber in eine Falle und verhalten uns scheinheilig – das könnte uns künftig teuer zu stehen kommen. Daher müssen wir die Akteur:innen der Branche schon heute viel stärker in die Verantwortung nehmen, wenn es um die ökologischen Implikationen ihres Arbeitsfeldes geht.
Sustainable IT: Wo fangen wir an?
Wer an nachhaltige IT denkt, hat häufig zuerst die Hardware im Sinn: etwa die Langlebigkeit der Technik oder auch Aufbereitung und Recycling wertvoller Rohstoffe, die in Computern, Kabeln und Co. zum Einsatz kommen. Denn es gibt schon jede Menge Bemühungen, hier nachhaltiger zu werden: Dazu zählt etwa der Ersatz generalüberholter Technik statt Neuanschaffung, die von Anbieterseite mit günstigeren Preisen incentiviert werden. Auf Herstellerseiten werden zudem seit einigen Jahren vielfach umweltfreundlichere und Recycling-Materialien für Hardwarekomponenten verwendet – vom Gerät bis zur Verpackung. Auch die Energieeffizienz von Geräten ist mittlerweile besser einsehbar, so dass Expert:innen für die IT-Beschaffung im Hardwarebereich leichter nachhaltigere Entscheidungen treffen können. Das ist bereits ein guter und sinnvoller Anfang – doch wir müssen noch mehr in die Tiefe gehen. Denn wir müssen zusätzlich vor allem die immer höheren Energiebedarfe von Software- und Rechenleistungen und den damit einhergehenden CO2-Fußabdruck von globalen Datenströmen ins Auge fassen – schließlich verbirgt sich hier in Zeiten zusehender Digitalisierung aller Lebensbereiche eine riesige Stellschraube.
Wir brauchen mehr als Recycling-Kunststoff für Hardwarekomponenten
Folgende Zahlen zeigen, was ich damit meine: Schon 2016 hatten Rechenzentren durch ihren enorm hohen Energiebedarf in etwa den gleichen CO2-Fußabdruck wie die gesamte Luftfahrtbranche. Prognosen zufolge wird ihr Energieverbrauch bis 2025 etwa 3,2 Prozent der globalen Kohlenstoffemissionen verursachen – und könnte dabei nicht weniger als ein Fünftel des weltweiten Strombedarfs ausmachen. Das will man erst einmal sacken lassen, aber wir sind noch nicht am Ende: Durch die zunehmende Technologisierung und immer mehr datengetriebene Anwendungen in unserem Alltag wird die Verarbeitung digitaler Daten bis 2040 voraussichtlich 14 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen – was in etwa dem heutigen Anteil der USA entspricht. Bitte nicht falsch verstehen, damit möchte ich IT-Anwendungen nicht den Klimateufel zuschieben, sondern darauf aufmerksam machen, dass wir im Digitalbereich ganz dringend umdenken und uns über Konsequenzen unserer Handlungen für den Planeten klar sein müssen – eben genauso wie in allen Lebensbereichen! Und dabei können wir es uns eben nicht leisten mit Recyclingkunststoffgehäusen für Hardware-Produkte unser Gewissen zu beruhigen, sondern müssen einen grundsätzlichen Paradigmenwandel anstreben.
So vielschichtig ist das Thema: Nachhaltigkeitsaspekte beginnen im Code
In diesem Zusammenhang sind einerseits natürlich Unternehmen, die große Rechenzentren betreiben gefragt, da sie durch die Nutzung erneuerbarer Energien, moderner Hardware und effizienteren Kühlungsprozessen schädliche Emissionen bereits deutlich reduzieren können. Darüber hinaus müssen IT-Expert:innen sich aber auch insgesamt ihrer Verantwortung und konkreter Handlungsmöglichkeiten, die schon beim Coding von Datenprozessen beginnen, bewusst sein. Das lässt sich am Beispiel Bitcoin untermalen: Wissenschaftler:innen der Uni Cambridge kalkulierten, dass der Energieverbrauch der beliebten Kryptowährung im Jahr 2019 höher lag als der Bedarf der gesamten Schweiz.[3] Tatsächlich bedingt der komplexe Validierungsprozess via Blockchain bis zu 99,9 Prozent des gesamten Energieverbrauchs während des Minings, also Schürfens neuer Coins – und ließe sich, wenn ein anderes Verfahren zum Validieren genutzt würde, massiv reduzieren. Klimaaktivist:innen fordern daher zurecht ein Umdenken: Change the Code. Und das fasst den Kern der Herausforderung gut zusammen: Nachhaltigkeit muss zur Kernanforderung aller Neu- und Weiterentwicklungen von IT-Produkten und -angeboten werden. Doch wie schaffen wir es, den dafür nötigen Geisteswandel in der Branche zu verankern?
Aufklärung ist der erste Schritt: Wissen befähigt zur Transformation
Im Grunde sieht sich der IT-Sektor hierbei ganz ähnlichen Herausforderungen gegenüber, wie es auch andere Branchen tun: Geschäftsmodelle, Produkte und das tägliche Handeln müssen im Sinne der Nachhaltigkeit grundlegend transformiert werden. Ich bin überzeugt, dass einer der wichtigsten Hebel für genau diesen gewünschten Wandel bei den Menschen liegt: also bei den Akteur:innen der IT- und Softwarebranche selbst. Nur wer überhaupt verstanden hat, wo das Problem liegt und welche Auswirkungen das eigene Handeln ganz konkret hat, kann auch an effizienten Lösungen arbeiten und sich neuorientieren. Unternehmen stehen daher in der Verantwortung ihrer Belegschaft Zugang zu dem dafür nötigen Wissen zu verschaffen, damit sie in der Folge eigenverantwortlich nachhaltige Entscheidungen treffen, sich der Zusammenhänge ihres Wirkens bewusst werden und das Thema in ihrer Organisation täglich aktiv vorantreiben können. Ein guter Anknüpfpunkt dafür sind innerbetriebliche Bildungsangebote: Mit umfassendem Basiswissen rund um das Thema Sustainability und praktischem Know-how könnten nachhaltige Aspekte schon beim Entwickeln neuer Softwarelösungen mitgedacht und datenintensive Prozesse klimafreundlich transformiert werden.
Es geht um nicht weniger als die Befähigung einer zukunftskritischen Branche. Gelingt uns dieser Wandel nicht, werden Digitalisierungsbemühungen im Sinne von Sustainability zum Nullsummenspiel – oder noch schlimmer: zunächst positive Effekte der Digitalisierung kehren sich langfristig um und schaden dem Planeten mehr, als dass sie entlasten. Und das kann niemand von uns wollen!