Bye-Bye Bräsigkeit: Wie wir in Deutschland endlich die dringend nötige Begeisterung für Digitalisierung entfachen
Die unsägliche Trägheit Deutschlands beim Digitalausbau hat kaum mehr echten News-Wert und so akzeptieren viele unser schlechtes Abschneiden bei entsprechenden Rankings eher stumpf – anstatt sie als eindringliches Aufbruchsignal zu verstehen. Wie kommen wir raus aus der Digitallethargie? Meine Antwort: Wir müssen echte, tiefgreifende Begeisterung für das Thema erzeugen. Europäische Nachbarländer wie Schweden zeigen uns, wie das geht. Nämlich indem wir diejenigen abgeholen und einbinden, die die größte Power in puncto Veränderung haben: die Menschen selbst. Let’s make Digitalisierung great again.
We all know the drill: Sobald ein neues, europäisches Digitalranking veröffentlicht ist, grüßt uns die immer gleiche Berichterstattung wie das Murmeltier im Bill-Murray-Klassiker. Deutschland belegt mal wieder einen der hinteren Plätze. Und ebenso häufig finden wir vorrangig skandinavische Länder unter den Top Five. Woran liegt das? Nun, Länder wie Schweden, Dänemark und Finnland haben schon vor langer Zeit eine völlig andere, gesellschaftliche Haltung zum digitalen Fortschritt verankern können: Dort wird echte Begeisterung für das Thema gelebt – ich denke, genau dieses Mindset fehlt uns hierzulande und hemmt Fortschritte beim Digitalausbau.
Die Schwedische Digitalstrategie: Wenn auf Worte Taten folgen
Vergleicht man etwa unseren Digitalisierungsfortschritt der vergangenen Jahrzehnte mit dem Schwedens, wird schnell deutlich: Im hohen Norden ziehen Regierung und Wirtschaft beim Thema Digitalisierung seit Langem an einem Strang. Das Fundament für eine hohe Technik- und Digitalaffinität legte man dort schon in den Neunzigerjahren: Ab 1998 konnte im Rahmen der „Heim-Computer-Reform“ jede:r Angestellte – steuerlich subventioniert wohlgemerkt – einen neuen Computer für zu Hause leihen. Das fruchtete: Mehr als eine Million Schwed:innen machten davon Gebrauch – ein Riesengewinn in Sachen digitale Kompetenzen. Auf dieser Basis nahm die Regierung die Bevölkerung von Anfang an mit und konnte bei nächsten Schritten auf hohe Zustimmung beim Ausbau ihrer Digitalisierungsstrategie bauen.
Im Jahr 2011 veröffentlichte das Ministerium für Unternehmen, Energie und Kommunikation seine umfassende Digitalagenda. Und – das muss man leider so stark betonen, weil „politische Pläne machen“ eben nicht mit „Pläne in die Tat umsetzen“ gleichverstanden werden kann – ließ die Zielsetzungen aus eben dieser Agenda seither konsequent Wirklichkeit werden. Womit wir zur Gegenwart kommen: Heute sind Laptops an schwedischen Schulen eine Selbstverständlichkeit, Bargeld wird kaum noch genutzt, Kommunikation mit Ärzt:innen erfolgt per App und altersübergreifend ist in Schweden kaum jemand ohne Smartphone unterwegs: Unter etwa 10,6 Millionen Einwohnenden gab es rund 8,8 Millionen Nutzer:innen im Jahr 2021. Schweden reagierte zudem als eines der ersten Länder mit einer konkreten Industriepolitik auf die sich ankündigende „vierte industrielle Revolution“. 2016 startete die rot-grüne Regierung eine „Neu-Industrialisierungsstrategie“ unter dem Namen „Smart industri“. Auch bei Investitionen in Forschung und Entwicklung haben die Schwed:innen so seit längerem die Nase vorn: Sie setzten 2019 3,4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für dieses Feld ein – Deutschland hingegen nur 3,18 Prozent.
Digitalisierung in Deutschland: Statt Begeisterung nur jahrelanges Wegducken
Denn vom Digitalspirit á la Schweden sind wir in Deutschland leider noch meilenweit entfernt. Hierzulande entspringen Fortschrittsdenken und eine mehr oder minder stark ausgeprägte Begeisterung für die digitale Transformation vor allem aus der Wirtschaft – und das reicht ohne umfassende politische Rückendeckung einfach nicht aus: KfW Research resümierte im vergangenen Jahr etwa, dass die Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft noch auf das Doppelte bis Dreifache ansteigen müsste, um im Bereich digitale Technologien mit anderen Ländern, die sich in diesem Bereich stark positioniert haben, aufzuschließen.
Währenddessen behandelte die Politik das Thema in den vergangenen Jahren nur allzu oft wie ein notwendiges Übel, dem man sich irgendwann wohl einmal stellen müsste. Was lange als Zukunftsmusik abgetan wurde, ist aber längst da – das fällt uns aktuell in vielen Themenbereichen auf die Füße. Auch wir brauchen also eine Regierung, die Begeisterung für Digitalisierung und den Willen zu digitalem Kompetenzausbau vorlebt und das Thema auf die gesamtgesellschaftliche Agenda schreibt: aus meiner Sicht eine zentrale Aufgabe der Ampelkoalition für die aktuelle Legislaturperiode. Digitale Kompetenzen können und müssen branchen- und hierarchieübergreifend erlernt werden, damit die deutsche Wirtschaft auch in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig bleibt und ein hohes Beschäftigungsniveau gesichert werden kann. Mit passenden Anreizen müssen sowohl Privatpersonen als auch Unternehmende für die positiven Effekte einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft begeistert werden. Denn so viel ist sicher: Unwissenheit ist der ideale Nährboden für fatale Innovationsskepsis. Wir können uns diese törichte Digitalignoranz schlicht nicht länger leisten und müssen durch massiven Wissensaufbau gegensteuern und eine neue Digitalkultur etablieren– die Zeit des Wegduckens ist vorbei!
Spotlight auf die Vorteile: Mit Wissensaufbau legen wir die Basis für Digitalbegeisterung
Ich bin überzeugt, dass die Grundlage für einen fruchtbaren Kulturwandel immer in den Köpfen der Menschen gelegt wird. So auch beim Thema Digitalisierung: Wir brauchen eine intrinsische Motivation der Mehrheitsgesellschaft, damit wir nach schwedischem Vorbild alle Vorteile der digitalen und technologisierten Welt erlebbar machen können. Und diese kann eben nur durch Wissenszuwachs entstehen. Wir müssen also überall dort für ein grundlegendes Verständnis für die Chancen der digitalisierten Welt sorgen, wo bisher noch zu viel Unkenntnis herrscht. Einer der einfachsten Wege, um möglichst vielen Menschen niedrigschwelligen Zugang zu auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten Wissens- und Lernangeboten zu gewähren, ist der über die Unternehmen und Betriebe. In short: Die Qualifizierung von Mitarbeitenden könnte ein effektiver Hebel sein, um den Begeisterungszug endlichen in Fahrt zu bringen.
Die ehemalige Bundesregierung hatte mit zahlreichen Fördermöglichkeiten über die Bundesagentur für Arbeit eine passende Grundlage geschaffen, damit möglichst viele Unternehmen das Thema betriebliche Weiterbildung auf ihre Agenda setzen – so könnten sich die meisten kleinen und mittelständischen Betriebe ihre Kosten für Qualifizierungsmaßnahmen bis zu 100 Prozent erstatten lassen. In großen Unternehmen wird immerhin noch die Hälfte der Kosten vom Bund gedeckt. Eingeschlossen sind dabei nicht nur Ausgaben für Bildungsprogramme, sondern auch die anfallenden Lohn- und Gehaltskosten. Ich denke, die Ampelkoalition sollte hier aufsetzen und für ein breiteres Bewusstsein über diese Fördermöglichkeiten bei den Unternehmen trommeln. Denn unser Reskilling Index 2021 ermittelte, dass sage und schreibe 55 Prozent der Entscheider:innen, die solche Programme auf den Weg bringen könnten, die Vorteile überhaupt nicht kannten. Das ist doch fatal! Und auch hier zeigt sich: Kaum etwas behindert Fortschritt so sehr wie Wissensdefizite – höchste Zeit also, diese zu beseitigen.
Aufbruchsstimmung made in Germany: Begeisterung durch Befähigung
Natürlich ist der digitale Skill-Aufbau in den Unternehmen und der damit einhergehende Haltungswandel beim Thema Digitalisierung kein Selbstzweck: Neues Wissen und neue Fähigkeiten, können die Mitarbeitenden künftig in ihrem Arbeitsalltag einbringen und schlagen so obendrein dem vielgerühmten Fachkräftemangel ein Schnippchen: Denn durch zielgerichtete Qualifizierung können wir die Zukunftskompetenzen von morgen vielfach schon heute innerhalb der bestehenden Belegschaften verankern – und wischen so die Sorge um qualifizierte Expert:innen quasi vom Tisch.
Kommt der Stein erst einmal ins Rollen, können sich die klaren Vorteile einer digital transformierten Gesellschaft schrittweise immer weiter entfalten und werden dann für alle beruflich wie privat erlebbar: Digitale Verwaltungsapparate sind effizienter, ein digitales Gesundheitswesen ist leistungsfähiger, digital gesteuerte Energieversorgung ist ökologischer und resilienter – und auch digital optimierte Mobilitätsangebote sind umweltfreundlicher und weniger störanfällig. Die Liste könnte noch ewig weitergehen, aber die immensen Potenziale kommen wohl auch so rüber. Noch klingt das vielleicht nach einer schönen Utopie, aber dabei muss es nicht bleiben.
Immerhin offenbart sich in diesem Zusammenhang auch aus der politischen Riege der Ampel ein Grund zur Hoffnung – Volker Wissing, Bundesminister für Verkehr und Digitales, äußerte bei der Präsentation seiner Gigabitstrategie für den deutschen Digitalausbau immerhin die nötige Entschlossenheit aus der die Begeisterung, die wir so sehnlichst brauchen, erwachsen könnte: „Für mich ist ganz klar: Digital ist besser. Wir packen es jetzt an.“