Verkehrswende jetzt nicht ausbremsen: Vier Aspekte, um E-Mobilität in Krisenzeiten weiter auszubauen
In kritischen Zeiten fallen Transformationsthemen in der Wahrnehmung gerne ab. So rückt auch die Verkehrswende aus dem Fokus der Öffentlichkeit, dabei ist sie ein elementarer Teil des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels zu mehr Nachhaltigkeit – und daher unerlässlich, um an bundesweiten und europäischen Klimazielen festzuhalten. Wieso wir genau jetzt am Fortschritt des klimafreundlichen Mobilitätssektors festhalten und speziell E-Mobility weiter ausbauen müssen.
Verständlicherweise sind Krisenzeiten undankbar, um wichtige Transformationsprozesse anzuschieben – so auch bei der Verkehrswende. Doch wir können trotz angespannter Wirtschaftslage nicht die Augen davor verschließen, dass sich das deutsche Verkehrssystem verändern muss, damit wir unsere Ziele in puncto Nachhaltigkeit und Klimaschutz erreichen können. Der Ausbau des E-Mobilitätssektors spielt deshalb eine ganz entscheidende Rolle: Er bietet die vielversprechendste Perspektive für klimafreundliche Pkw und steht nicht umsonst bereits seit Jahren auf der Agenda der wichtigsten Akteure der Automobilindustrie sowie ihr anverwandter Branchen. Doch wie ergeht es der Antriebswende in der aktuell angespannten Wirtschaftslage?
Die Aufbruchstimmung droht zu kippen
Extreme Preisanstiege an den Zapfsäulen ließen den Absatz von E-Fahrzeugen besonders zu Beginn des Jahres 2022 zunächst in die Höhe schnellen – viele Verbraucher:innen nahmen zudem die Chance wahr und sicherten sich neue Fahrzeuge unter Förderungsanreizen vom Staat. Durch Verschärfungen globaler Lieferkettenprobleme und die Energiepreiskrise wurden diese Erfolge jedoch wieder gedrosselt: Strom ist in Deutschland mit derzeit durchschnittlich 40,07 ct/ kWh für Privathaushalte unglaublich teuer geworden. Aktuell sind Wartezeiten für E-Fahrzeuge außerdem nicht nur ohnehin abschreckend lang: Laut Autobild sind dieser Tage von 68 E-Auto-Modellen, die als Neuwagen angeboten werden, nur vierzehn innerhalb eines halben Jahres nach Bestellung lieferbar. Die Unsicherheit, ob staatliche Förderungen bei der Zustellung überhaupt noch greifen – nachdem sie zuletzt ohnehin stark gekürzt wurden, demotiviert zunächst umstiegsbereite Verbraucher:innen zusätzlich. Prognosen sprechen von einer Dürrezeit für die E-Mobilitätsbranche in den kommenden zwei Jahren. Doch ich bin überzeugt, dass wir diesem Trend entgegenwirken können – und das müssen wir auch, damit klimafreundliche Mobilität und eine nachhaltige Zukunft weiterhin eine Chance haben können.
Vier Aspekte, die dem Wandel entscheidenden Auftrieb zurückgeben können
Die folgenden vier Aspekte sind entscheidend, um klimafreundlichen Verkehr genau jetzt weiter voranzubringen und bisherige Erfolge nicht versanden zu lassen:
1. Skepsis und Vorurteile über E-Mobilität abbauen
Unwissen ist die größte Bremse von Transformation und kann so gleich in mehreren Teilen des Verkehrssystems entscheidend behindern. Nur wenn alle in der Kette das Thema E-Mobilität durchdringen, kann unnötiger Skepsis an passenden Stellen entgegengewirkt werden. In Bezug auf die Konsumierenden geht es besonders darum, Vorurteile über mangelnde Leistungsfähigkeiten von E-Fahrzeugen abzubauen. Denn der aktuelle Entwicklungsstand der E-Mobilität deckt bereits die durchschnittlichen Bedürfnisse vieler Verbraucher:innen ab: Verschiedenen Erhebungen und Rechenbeispielen zufolge legen die meisten Deutschen durchschnittlich 40 Kilometer pro Tag mit dem Auto zurück1. Dieser Streckenanforderung könnten durchschnittliche E-Fahrzeuge, deren Batteriekapazität bei mehreren Hundert Kilometern liegt, also mit links gerecht werden. Doch auch für Pendelnde mit mehr Bedarf wird die Auswahl immer besser, da Reichweiten bzw. Batteriekapazitäten und Effizienzgrade der Fahrzeuge in den letzten Jahren deutliche Sprünge gemacht haben und sich auch die Ladeeffizienz kontinuierlich verbessert. So können laut DKV viele Gleichstrom-Ladesäulen an Autobahnen ein vollelektrisches Fahrzeug in weniger als 30 Minuten bis zu 80 Prozent aufladen.
2. Schluss machen mit der Entweder-Oder-Mentalität
Und da wir schon beim Thema sind: Für mehr Akzeptanz und weniger Verunsicherung wäre es am besten, wir könnten uns bei der Verkehrswende vom leidlichen Schwarz-Weiß-Denken lösen. Ja, Batterieelektrische Fahrzeuge sind nach heutigen Erkenntnissen wohl die tragfähigste Lösung für den Individualverkehr und bestimmen daher die öffentliche Diskussion. Kritiker:innen führen immer wieder an, dass sie nicht alleinige Hoffnungsträger der Verkehrswende sein dürfen – und beschwören dann andere Heilsbringer. Doch das empfinde ich als zu kurz gedacht, da die Elektromobilität mehr als reine Batterieantriebe miteinschließt – immerhin fahren auch Brennstoffzellenfahrzeuge mit Wasserstofftank elektrisch. Zweitens sollten wir offen dafür sein, dass für eine Wende im Verkehrssystem durchaus weitere Antriebslösungen unterstützend genutzt werden können und sogar müssen. Im Güterverkehr oder beim Personenverkehr über längere Strecken können reine Batterieantriebe den nötigen Kapazitäten kaum gerecht werden. Deswegen ist es gut und richtig, wenn auch in andere Richtungen weiter geforscht wird und alle Lösungen auf ihre Kompatibilität für verschiedene Anwendungsbereiche untersucht werden. Welche Kombinationen von klimafreundlichen Antriebsstoffen und Batterien im Hybridbereich künftig möglich sind, können wir uns heute vielleicht noch gar nicht vorstellen. Feststeht aber, dass Batterien und verstromte Antriebe enorm wichtig für klimafreundlichen Verkehr sind – heute und auch in Zukunft. Ein Entweder-Oder-Ansatz fußt auf gefährlichem Halbwissen und lähmt den dringend nötigen Ausbau passender Infrastruktur, verunsichert Konsumierende zusätzlich und hält uns zusammengefasst nur unnötig auf.
3. Starke Lobby für einen radikalen Ausbau der erneuerbaren Energieträger einsetzen
Damit können wir auch schon auf den nächsten Punkt blicken, dem die eben genannte Mentalität ganz ähnlich geschadet hat: der Ausbau erneuerbarer Energien. Wir brauchen den „Renewable Boost“ ohnehin, um uns weniger abhängig von Energieimporten aus dem Ausland zu machen, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und unsere Klimaziele zu erreichen. Das ist uns allen in den vergangenen Monaten hoffentlich, wenn auch schmerzlich, endlich klargeworden. Mit dem Ausbau der E-Mobilität steigt logischerweise auch der Bedarf für „cleane“ Energie im öffentlichen Raum und in Privathaushalten. Und auch klimafreundliche Antriebsstoffe, wie etwa grüner Wasserstoff oder andere E-Fuels, sind auf den Ausbau angewiesen. Würde deren Herstellung mit konventionellem Strom aus fossilen Quellen vorgenommen, könnte schließlich niemand von klimafreundlichen Antriebsstoffen sprechen. Einen interessanten Gedanken zu diesem Thema äußerte Mario Kehrer, seines Zeichens Oberingenieur beim Lehrstuhl Production Engineering of E-Mobility Components der RWTH Aachen, im Beyond Tomorrow Podcast von XU: Er ist überzeugt, dass wir eine mindestens genauso starke Lobby für die erneuerbaren Energien und neue Antriebstechniken brauchen, wie es etwa Kohle- und Atomenergie und Verbrenner lange Zeit hatten. Wieviel Einflussnahme noch immer möglich ist, zeigte jüngst wieder die UN-Klimakonferenz (COP27): An der Konferenz nahmen über 630 Lobbyist:innen für fossile Energieträger teil – und übertrumpften damit jede einzelne Delegation der afrikanischen Länder, obgleich deren Interessen und energetische Zukunft bei der Konferenz im Mittelpunkt stehen sollte. Dass sie ihre Interessen wohl recht erfolgreich durchsetzen konnten, lässt sich an den Ergebnissen der Konferenz nur zu leicht ablesen. Doch zurück zum Positiven: Grund zur Hoffnung beim Thema erneuerbare Energien bringt die jüngste Prognose der Internationalen Energieagentur, dass diese im Jahr 2025 Kohlekraftwerke als größten Stromerzeuger auf der Welt überholen werden.
4. Dem Fachkräftemangel durch gezielte Qualifizierung entgegenwirken
Dass sich viele Tätigkeitsprofile in der Automobil- sowie der gesamten Mobilitätsbranche in Anbetracht der Verkehrswende verändern werden, ist längst kein Geheimnis mehr. Mehrere Studien zeigen auf, dass es immense Transfereffekte zwischen anverwandten Branchen und Teilbereichen der Wertschöpfungskette im Zusammenhang mit der Antriebselektrifizierung und Digitalisierung im Mobilitätsmarkt geben wird: Stellen aus der Verbrennerproduktion entfallen, neue Jobprofile entstehen – etwa im Bereich Batterieproduktion oder im Bereich Software. Für diese Bereiche braucht es qualifiziertes Personal, über dessen Mangel wir bereits heute nicht zu knapp jammern. Um den hohen Bedarf in der Mobilitätsbranche künftig abdecken zu können, sollten Unternehmen möglichst frühzeitig mit Reskilling und Upskilling, also der Um- und Weiterqualifizierung, der betroffenen Teile ihrer Belegschaft beginnen und so dem Fachkräftemangel bestmöglich entgegenwirken. Da die angespannte Wirtschaftslage und schleppende Absatzzahlen viele in der Branche aktuell enorm unter Druck setzen und erste Entlassungen bereits stattfinden, sollte hier auch die Politik eingreifen und großen Kündigungswellen durch Förderungs-Incentivierung von Qualifikationsangeboten – ganz speziell für den Automobil- und Verkehrssektor – entgegenwirken. Davon profitieren am Ende schließlich alle: Die Angestellten, die Unternehmen, die Verbraucher:innen und der Planet.
Zusammengefasst möchte ich noch einmal betonen, wie wichtig es ist, den Wissensstand rund um die Möglichkeiten der Elektromobilität in diesem Land endlich zu erhöhen. Das würde sicher nicht nur den verunsicherten Verbraucher:innen sondern auch zuständigen Behörden, die am Ausbau klimafreundlicher Verkehrssparten und der Umsetzung gezielter Projekte für die Verkehrswende beteiligt sind, enorm weiterhelfen. Doch insbesondere die Unternehmen im Automobilsektor sollten in diesem Zusammenhang Verantwortung übernehmen und das Kompetenzprofil der Belegschaft frühzeitig um neues Fachwissen und praktische Kenntnisse anreichern. Passende Qualifizierungsangebote ermöglichen es, kostbare Fachkräfte und Expert:innen schon jetzt in den eigenen Reihen zu etablieren und sich besser gegen den Transformationsdruck zu rüsten. Wir bei XU haben uns bei diesem Thema mit den Expert:innen von PEM Motion zusammengetan und unterstützen gerne alle Unternehmen, die heute schon ihre Mitarbeitenden in den Mobilitätskompetenzen von morgen fit machen wollen. Abschließend noch ein Gedanke zum Energiethema, das mit elektrischer Mobilität einhergeht: In den USA geht man dabei bereits deutlich beherzter voran, baut klimafreundliche Energiequellen aus und investiert gleichzeitig große Summen, um Emissionen durch Direct Air Capture und Storage zu regulieren; für viele in Europa, besonders in der Politik, schwer vorstellbar – vielleicht könnten wir uns hier aber doch etwas abschauen? Doch dazu gerne in einem weiteren Beitrag mehr Gedanken.
1Die durchschnittliche Fahrleistung mit Pkw in Deutschland lag 2019 bei rund 14.610 Kilometern pro Tag. Im Tagesdurchschnitt lägen deutsche Pkw daher bei rund 40,03 Kilometern Strecke.